„Mutti, nimm mich mit nach Haus.“

„Jüdische Mischlingskinder“ in der Tötungsanstalt Hadamar 1943-1945

Über die Ausstellung

Die Gedenkstätte Hadamar erinnert an die Verfolgten und Ermordeten der nationalsozialistischen „Euthanasie“. Fast 15.000 Menschen wurden von 1941 bis 1945 in der damaligen Tötungsanstalt Hadamar ermordet. Zu ihnen gehörten Kinder und Jugendliche, die als „jüdische Mischlinge“ bezeichnet wurden. Sie waren zwischen 1943 und 1945 im „Erziehungsheim Hadamar“ untergebracht. Diesen Kindern und Jugendlichen ist die digitale Ausstellung „Mutti, nimm mich mit nach Haus.“ – ‚Jüdische Mischlingskinder‘ in der Tötungsanstalt Hadamar 1943-1945“ gewidmet.

Die Ausstellung stellt fünf Einzelschicksale von Kindern und Jugendlichen des „Erziehungsheims Hadamar“ zwischen 1943 und 1945 vor. In dem Heim waren ausschließlich Minderjährige untergebracht, die unter Fürsorgeerziehung standen und mindestens ein jüdisches Elternteil hatten. Sie galten nach den „Nürnberger Gesetzen“ als „jüdische Mischlinge I. Grades“.

Das „Erziehungsheim“ existierte jedoch nur zum Schein. Es war Teil der Tötungsanstalt Hadamar. Insgesamt 45 Kinder und Jugendliche wurden in das „Erziehungsheim“ aufgenommen – 40 von ihnen wurden ermordet. Sie waren zwischen sechs und 19 Jahren alt.

Durch fünf Einzelschicksale der Kinder und Jugendlichen des „Erziehungsheimes“ nähern wir uns dem Leiden und Sterben dieser jungen Menschen an. Sie wurden zwischen 1943 und 1944 in das „Erziehungsheim Hadamar“ überwiesen. Die zusätzliche Vorstellung der Lebensgeschichten, der durch die „Nürnberger Rassengesetze“ als jüdisch definierten Elternteile, gibt einen Einblick in den Umfang der Verfolgung, Diskriminierung und Zerstörung ganzer Familien.

Dr. Wahlmann, der Anstaltsarzt von Hadamar, benachrichtigt die Angehörigen eines Kindes von der verhängten Besuchssperre. In der linken Ecke sieht man den extra angefertigten Stempel des "Erziehungsheims".
Dr. Wahlmann, der Anstaltsarzt von Hadamar, benachrichtigt die Angehörigen eines Kindes von der verhängten Besuchssperre. In der linken Ecke sieht man den extra angefertigten Stempel des 'Erziehungsheims'. Quelle: LWV-Archiv, K12, Nr. 2918.

Die Nürnberger Gesetze

Der Antisemitismus war einer der Grundsteine der nationalsozialistischen Weltanschauung. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. In der Folge übernahmen Nationalsozialisten die wichtigsten politischen Positionen in Deutschland. Ab diesem Zeitpunkt wurden Jüdinnen und Juden systematisch ausgegrenzt und verfolgt.

Die Tötungsanstalt Hadamar 1941–1945

Zwischen 1941 und 1945 war die Landesheilanstalt Hadamar eine Tötungsanstalt im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasie“. Fast 15.000 Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen sowie psychischen Erkrankungen wurden in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet.
Großaufnahme der Anstalt Hadamar kurz nach der Befreiung durch US-amerikanische Truppen im April 1945.
Aufnahme der Anstalt Hadamar kurz nach der Befreiung durch US-amerikanische Truppen im April 1945. Quelle: USHMM, Fotoarchiv, Foto Nr. 05458.

Fürsorgeerziehung im Nationalsozialismus

Während des Nationalsozialismus übergaben Jugendämter und Fürsorgestellen Kinder und Jugendliche aus Fürsorgeerziehungsheimen in die Tötungsanstalt nach Hadamar. Die Fürsorgeerziehung umfasste ursprünglich die staatliche Betreuung von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern oder Verwandte sich nicht selbst um sie kümmern konnten. Statt ihnen Sorge und Pflege zuteilwerden zu lassen, wurden sie dem Tod in Hadamar preisgegeben.
Eine Akte betreffend 'Durchführung der Fürsorgeerziehung jüdischer und halbjüdischer Kinder, sowie von minderjährigen Zigeunern'. Angelegt durch das Landesjugendamt in Braunschweig. Quelle: NLA WO, 12 D neu, Nr. 119.

Biografien

Wolfgang (1930–1943) und Günter Heinemann (1931–1943)

Am 22. April 1930 kam Wolfgang Heinemann im niedersächsischen Schöningen als erster Sohn von Helene und Kurt Heinemann zur Welt. Ein knappes Jahr später, am 29. Mai 1931, folgte das Zwillingspaar Dina und Günter. 1932 wurde eine weitere Tochter geboren und erhielt den Namen Marlene.

Kurt Heinemann (1906-1933)

Vater von Wolfgang und Günter Heinemann

Kurt Heinemann wurde am 6. Dezember 1906 in Echternach/Luxemburg geboren. Mit seiner Frau Helene Heinemann lebte er im niedersächsischen Schöningen bei Braunschweig. Am 22. April 1930 wurden sie zum ersten Mal Eltern und ihr Sohn Wolfgang kam zur Welt. Am 29. Mai 1931 folgten die Zwillinge Dina und Günter sowie 1932 eine weitere Tochter namens Marlene.

Alfred Völkel (1929-2002)

Alfred Völkel wurde am 17. Juni 1929 in Nürnberg als Sohn von Margarete Völkel und Siegfried Lang geboren. Seine Eltern waren nicht verheiratet. Auf Grund der „Nürnberger Rassegesetze“ galt sein Vater Siegfried als Jude und Alfred selbst als „jüdischer Mischling I. Grades“. Seine Eltern bekamen noch eine weitere gemeinsame Tochter, die sie allerdings kurz nach der Geburt zur Adoption freigaben. Alfred hatte mit seinem Vater vermutlich keinen Kontakt, da dieser 1939, auf Druck der Nationalsozialisten, nach Shanghai emigrierte.

Siegfried Lang (1902-1985)

Vater von Alfred Völkel

Siegfried Lang wurde am 21. Juni 1906 in Nürnberg geboren. Seine Eltern waren der jüdische Kaufmann Siegmund Lang und seine Ehefrau Getta Lang, geb. Steiner. In Nürnberg wurde Siegfried Lang 1912 in die erste Klasse des Realgymnasiums eingeschult. Nach seinem Abitur machte er eine Ausbildung zum „Reisenden“ (Handelsvertreter) in einer Lederwarenfabrik.

Ingeborg Donges (1929-1943)

Ingeborg Donges wurde am 14. Mai 1929 im mittelhessischen Gießen als Tochter von Lina Donges und Manfred Rosenbaum geboren. Ihr Vater, Manfred Rosenbaum, galt nach den „Nürnberger Gesetzen“ als Jude. Diese rassistische Stigmatisierung sollte für den Vater sowie für seine Tochter dramatische Folgen haben. Mit ihrem Vater hatte Ingeborg wahrscheinlich keinerlei Kontakt. Er emigrierte bereits 1933 nach Frankreich. Vier Wochen nach ihrer Geburt kam Ingeborg Donges in ein Kinderheim nach Wetzlar.

Manfred Rosenbaum (1905-1945)

Vater von Ingeborg Donges

Manfred Rosenbaum wurde am 16. März 1905 im mittelhessischen Ort Rodheim-Bieber bei Gießen geboren. Seine Eltern waren der jüdische Viehhändler Samuel Rosenbaum und Johanna Rosenbaum. Die Familie zog 1913 von Rodheim-Bieber nach Gießen. Zwischen 1914 und 1916 betrieb seine Mutter dort einen Wurstwarenhandel. Er selbst erlernte den Kaufmannsberuf und hatte zwischen 1928 und 1931 ein eigenes Geschäft, in dem er Textil- und Webwaren verkaufte. 1929 wurde er zum ersten Mal Vater. Mit der Mutter seiner Tochter Ingeborg war Manfred Rosenbaum nicht verheiratet. Kurz nach der Geburt wurde seine Tochter in ein Kinderheim nach Wetzlar gegeben.

Georg Brönner (1929-1945)

Georg Brönner wurde am 7. März 1929 im bayerischen Kleinlangheim als Sohn von Zerline Brönner, geb. Ackermann, und Hans Brönner geboren. Seine Mutter galt nach den „Nürnberger Rassegesetzen“ als Jüdin. Diese Stigmatisierung sollte für Mutter und Sohn dramatische Folgen haben. Georg hatte noch einen älteren Halbbruder und eine Schwester, die bereits im Alter von zwei Jahren starb.

Zerline Brönner (1902-1942)

Mutter von Georg Brönner

Zerline Ackermann wurde am 20. August 1902 als viertes von sechs Kindern in Kleinlangheim in Unterfranken geboren. Ihre Eltern Jeanette Ackermann, geb. Berliner, und Jakob Bernhard Ackermann gehörten der jüdischen Religionsgemeinschaft von Kleinlangheim an. Jakob Ackermann war Händler und die Familie lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen.

Erinnern und Gedenken

Am 26. März 1945 befreiten US-amerikanische Truppen die Stadt und Tötungsanstalt Hadamar und beendeten so die „Euthanasie“-Morde. Fast 15.000 Menschen wurden dort zwischen 1941 und 1945 ermordet. Die US-amerikanischen Soldaten trafen in der Anstalt auf rund 400 überlebende Patientinnen und Patienten. Viele von ihnen starben noch in den Tagen und Wochen nach der Befreiung an Unterernährung oder Infektionskrankheiten in Folge der absichtlich schlechten Ernährungslage und der unzureichenden medizinischen Versorgung der Jahre zuvor.

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Gedenkstätte Hadamar
Mönchberg 8
65589 Hadamar
Tel.: +49 (0) 6433 91845 – 01
Fax: +49 (0) 6533 91845 – 49
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Kuration und Projektleitung
Madeleine Michel, M.A. (Kuratorin), Dr. Sebastian Schönemann (Projektleiter)
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Die Bilder, Fotografien und Dokumente unterliegen dem Archiv und/oder Urheberrecht und sind genehmigungspflichtig. Für sämtliche Archivquellen gilt: Ohne vorherige schriftliche Zustimmung dürfen die Abbildungen nicht gespeichert, reproduziert, archiviert, dupliziert, kopiert, verändert oder auf andere Weise genutzt werden. Die Texte der digitalen Ausstellung können zu nicht-kommerziellen Zwecken gemäß den üblichen Regeln des Querverweises genutzt werden.

Dank

Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen der Gedenkstätte Hadamar, die stets durch ihre Hilfestellungen und ihre wertvollen Ratschläge zur Entstehung dieser Ausstellung beitrugen. Weiterer Dank gilt allen Museen, Archiven, Initiativen und Einzelpersonen, die Dokumente sowie Fotos zur Verfügung stellten. Vielen Dank an: Arbeitskreis Stolpersteine Würzburg (Michael Stolz), Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Armin Trus, Arolsen Archives, Braunschweigischer Geschichtsverein e.V., Deutsches Schifffahrtmuseum (Dr. Christian Ostersehlte), Evangelische Stiftung Neuerkerode (Anja Kruse), Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg (Dr. Ute Hoffmann), Gedenkstätte Lüneburg (Dr. Carola Rudnick), Gedenkstätte Moringen, Gedenkstätte Ravensbrück, Hartmut Kuhl, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Katholisches Schülertagesheim Vinzentinum (Anton Klemm), Koordinierungsgruppe Stolpersteine Gießen, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) Berlin, Landesamt für Finanzen – Dienststelle München Landesentschädigungsamt, Lernort Sozialdorf Herzogsägmühle (Babette Müller-Gräper), Niedersächsisches Landesarchiv (Hannover, Oldenburg und Wolfenbüttel), Rummelsberger Diakonie (Dr. Thomas Greif), Staatsarchiv München, Staatsarchiv Würzburg, Stadtarchiv Gießen, Stadtarchiv Wetzlar (Dr. Christoph Franke, Petra Hannig), Standesamt Großlangheim, Stiftung Scheuern (Manuela Nörtershäuser), Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (Dr. Rainer Bendick), Wolf-Dieter Gutsch.